Panter Preis Nominierte: Wasser statt Beton

Statt des geplanten Ausbaus einer Schnellstraße will der Nürnberg-Fürther Stadtkanalverein den Rückbau zu einer klimafreundlichen Wasserlandschaft.

Ein Verein mit einer Vision: Weg mit dem Asphalt - und dafür den alten Kanal wiederbeleben Foto: NSFK e.V.

11.09.21 | Von VERENA KERN

Wenn Theobald Fuchs über die Pläne seiner Heimatstadt Nürnberg zum Ausbau der Stadtautobahn redet, kann der Wissenschaftler und Autor richtig emotional werden. „Das ist rausgeschmissenes Geld und einfach nicht mehr zeitgemäß“, sagt Fuchs. Autogerechte Innenstädte hätten sich weltweit als Irrtum herausgestellt. Zu viel Lärm, zu viele Abgase, zu wenig Platz für menschenfreundliches Zusammenleben, zu wenig Klimaschutz. „Durch unseren Kanal“, sagt Fuchs, „würde nicht nur eine lebenswertere Stadt entstehen, es käme sogar Geld rein.“

Ein Autobahnumbau, von dem Stadt und Bür­ge­r*in­nen profitieren, auch finanziell? Genau das haben Fuchs und seine Mit­strei­te­r*in­nen vom Nürnberg-Fürther Stadtkanalverein e. V. mit dem Frankenschnellweg vor. Dieser ist eine zehn Kilometer lange, autobahnähnliche Straße, die Nürnberg zerteilt. Die mehrspurige Trasse wurde in den 1960er Jahren im Bett des alten Ludwig-Main-Donau-Kanal gebaut und sorgt seit Jahrzehnten für Ärger.

Denn schnell ist an dem Schnellweg praktisch nichts mehr. Während der Stoßzeiten herrscht chronisch Stau, die versprochenen Lärmschutzwände lassen seit gefühlten Ewigkeiten auf sich warten. Da es Fördermittel vom Freistaat Bayern nur bei einem Ausbau der Straße gibt, plant die Stadt seit 2009 eine große „Stadtreparatur“ zur „Erhöhung der Aufenthaltsqualität“: noch eine Fahrspur, auch ein Rad- und Fußgängerweg, dazu ein Tunnel mit einem „grünen Deckel“ auf immerhin 700 Metern.

Grünflächen fehlen ohnehin

Seitdem sind die geschätzten Baukosten auf mindestens 660 Millionen Euro explodiert (und das ohne den grünen Deckel), und die Stadt ist gespalten in Befürworter und Gegner, die vorrechnen, dass dann noch mehr Autos die Innenstadt verstopfen, in der ohnehin Grünflächen fehlen. Das Projekt kommt nicht voran, Klagen laufen.

Der taz Panter Preis ist ein Preis für zivilgesellschaftliches Engagement, der seit 2005 von der taz Panter Stiftung vergeben wird – dieses Jahr zum Thema Nachhaltige Mobilität.

In den nächsten Wochen stellen wir Ihnen die sechs Nominierten an dieser Stelle vor. Die zwei, je mit je 5.000 Euro dotierten taz Panter Preise – ein Publikumspreis und ein Jurypreis – werden unter ihnen ausgewählt.

Unser Publikumsvoting findet vom 18. September bis zum 17. Oktober statt, und bekannt gegeben werden die zwei Preisträger schließlich am 13. November. Mehr Infos unter: www.taz.de/panter

Ungefähr genauso lang diskutiert Theobald Fuchs, der in der Nähe des Frankenschnellwegs lebt, mit anderen Anwohner*innen, wie man diese „endlose Geschichte von Verwirrungen“, wie er es nennt, endlich auflösen und befrieden könnte. Dann stieß er in einem Stadtatlas auf alte Stadtpläne und Fotos. Sie zeigten, wie die Betonwüste inmitten Nürnbergs früher einmal aussah, als es noch den Ludwig-Main-Donau-Kanal gab. „Da konnte man sehen, wie schön das mal war.“ Und damit war die Idee des Stadtkanals in der Welt.

Eigentlich ist es eine Vision. Fuchs spricht von einem „Menschenschutzprojekt“. Wenn die Asphaltdecke wegfällt, werden 40 Hektar frei, die man grün und klimafreundlich nutzen kann. Der Kanal wird wiederbelebt und in eine innerstädtische Wasserlandschaft verwandelt, die den sommerlichen Hitzestress mildert. Es gibt Freibäder, Freilichtbühnen und Fahrradschnellwege.

Die eingesparte Dreiviertelmilliarde wird in den ÖPNV gesteckt, solarbetriebene autonom fahrende Boote schippern Fahrgäste übers Wasser. Kleine Gewerbetreibende werden angesiedelt und bringen Steuereinnahmen. Auch Schulen und Vereine erhalten Flächen. Dort, wo jetzt noch die Ab- und Zufahrtstraßen zum Frankenschnellweg sind, entstehen Sozialwohnungen. Ein kleines Wasserkraftwerk liefert erneuerbaren Strom.

Nutzungsrecht auf Lebenszeit

Visionär ist auch eine weitere Idee des Vereins, den Fuchs und seine Mit­strei­te­r*in­nen mittlerweile gegründet haben: Die frei gewordenen Flächen würden zwar im Eigentum des Freistaats bleiben, aber als Genossenschaft verwaltet. Mitglieder erhalten per Losentscheid für 100 Quadratmeter große Parzellen Nutzungsrecht auf Lebenszeit, eine Klausel legt fest, dass diejenigen zum Zug kommen, die nicht schon Wassergrundstücke haben. Die Umsetzung erfolgt als gemeinschaftliches Bürger*innen-Projekt, alle helfen mit.

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Seit seiner Gründung im Dezember 2020 hat der Verein schon viel bewegt. „Früher dachten die Leute, das ist Satire, wenn wir davon erzählt haben“, sagt Fuchs. „Das hat sich komplett geändert.“ Gespräche mit Umweltverbänden, Klimaak­ti­vis­t*in­nen und den Stadtratsfraktionen verliefen sehr positiv, das Interesse an dem Konzept ist groß. Der junge CSU-Bürgermeister gratulierte sogar zur Nominierung für den Panter Preis.

Falls der Verein gewinnt, will er mit dem Preisgeld einen Stadtkanal-Kongress veranstalten – um die Idee weiter voranzutreiben und zur Vernetzung beizutragen. Städte wie Utrecht, Siegen, Potsdam haben schon vorgemacht, wie viel der Rückbau von Kanälen bringen kann. Was die Nürnberger mit ihrem Konzept des Bürger*innen-Engagements planen, geht aber weit darüber hinaus. „So etwas“, sagt Fuchs, „wäre ein leuchtendes Beispiel für Europa.“

Der Stadtkanalverein im Netz: www.nfsk.de

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